Text über Ländlichkeit und Urbanität
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
Februar 2004
Transformationsprozesse zwischen Ländlichkeit und Urbanität
Der folgende Text kreist um die Sehnsucht nach und den gleichzeitigen Wi-derwillen gegen das Städtische. Das Paradox von Ländlichkeit und Urbanität dient dabei als Einstiegspunkt in einen Reflexions- und Bewusstseinsprozess an dessen Ende sich vermutlich sowohl das Ländliche, als auch das Urbane auflösen werden.
Der gedankliche Ausgangspunkt:
Urbanität wird vordergründig oft auf bauliche Dichte, oder auf das Bild der Metropole verkürzt. Jeder Stadtreisende hat jedoch schon die Öde und Be-drängnis immer gleicher, synthetischer Einkaufsstraßen oder die Tristesse uniformer Neugründungen erlebt. Bekannt ist auch die Polemik von Adolf Loos über Städte, die nicht mehr seien als ein „siebenstöckiges Mährisch-Ostrau“. Eine Stadt kann also auch provinziell sein. Dieser Diskurs versucht die Umkehrung dieses Satzes: Die Suche nach dem Land oder besser einer nicht städtischen Region, die urban ist.
Gibt es Urbanität im nicht-städtischen Raum ?
Gibt es “Ländliche Urbanität” als spezifische Qualität einer Region ?
Urbanität versus Provinzialität
Zur Abgrenzung seien hier verkürzt die Arbeitsbegriffe Stadt und Land im gemeinhin verständlichen Gebrauch angewandt und bezeichnen bauliche Erscheinungsformen. Mit „Urbanität“ oder dem „Städtischen“ beziehe ich mich auf jene immaterielle Qualität oder Bewusstseinsform, die im allgemeinen Sprachgebrauch ihren Ausgangspunkt in der Unterscheidung von „Stadt“ und „Land“ genommen haben.
Mit dem Ansatz Urbanität von baulicher Dichte zu lösen und Urbanität als eigenständiges Phänomen zu betrachten, verlieren sich triviale Assoziationsketten und sie beginnt als spezifische Qualität schärfere Konturen und in Folge ungewohnte, aber produktiv neue Erscheinungsformen anzunehmen.
Urbanität beschreibt jenes kulturelle Faszinosum, das durch Dichte, Synergie und Gleichzeitigkeit von Informationen, Kulturen und Lebenskonzepten ausgelöst wird. Ein Erlebnis, das ursprünglich an Knotenpunkten von Metropolen, zu bestimmten Ereignissen, aber auch andernorts durch das Zusammentreffen und Zusammenfließen von Unerwartetem eine Art Euphorie, ein Aufheben der Schwere von Raum und Zeit auslösen kann.
Die zufällige Begegnung in der Straßenbahn, Kontakte zu Fremden durch gemeinsame Freunde, das beiläufige Gespräch in einem Cafe mit einem Tischnachbarn, das überraschend in einen neuen Themenkreis führt, das unerwartete Bild in einer Auslage, das zu einer lang ersehnten Inspiration wird . . .
Stadtgewohnheiten
Der „stadtgewohnte“ Betrachter trifft jedoch auch in Vorarlberg auf Momente, Ereignisse und auch Orte und Personen, die dieses vertraute Gefühl von Urba-nität auslösen. Die Existenz überregional bedeutsamer Museen und kultureller Institutionen sind solche Kristallisationspunkte, an denen Verbin-dungen zu internationalen Netzwerken entstehen.
Der Besuch im Kunsthaus Bregenz beispielsweise, ein hochspezialisierter Vortrag über das Bildverständnis des Künstlers Gerhard Merz, oder ein Abendessen nach einem Konzert der Schubertiade mit internationalem Publikum können jene Qualität entstehen lassen.
Gleiches gilt für international tätige Unternehmen mit Sitz in Vorarlberg oder auch spezialisierte Dienstleister von internationalem Rang, welche die Qualitäten der Region schätzen und zugleich Autobahnen, Flughäfen und Telekommunikationsnetze zur Verbindung mit den individuellen Netzwerken nützt. Wenn diese individuellen Netzwerke auch offene Schnittstellen besitzen und für einen unerwarteten Kontakt offen sind, wenn Lebensentwürfe auch entsprechend tolerant gehandhabt werden, bereichern sie diese Urba-nität.
Stadtflucht
Dass dieser Rückzug aufs „Land“ oder einfach an den Herkunftsort stattfindet, hängt mit der Bedeutsamkeit familiärer und sozialer Integration zusammen. Aber auch die Wertschätzung von Landschaft und Natur (ohne genauere Dis-kussion der Begriffe) sind Gründe, ein städtisches Umfeld, das für viele durch berufliche Tätigkeit oder Studium erlebt wurde, zu verlassen. Stadtflucht.
Urbanität als geistige Haltung
Eine Anhäufung oder Vernetzung dieser Stadtflüchtenden, aber auch die immer konsequenter werdende Durchdringung mit überregionalen Informationsnetzwerken führt zu spontanen Kristallisationen von Urbanität. Gemeinsame Freunde in Kopenhagen werden in einem Gespräch plötzlich relevanter als der letzte Streit im lokalen Gemeinderat.
Der beharrliche Gebrauch von Ideen und Gewohnheiten, die als Überlebens-strategie in der Informationsdichte eines städtischen Alltags erlernt wurden, entwickelt sich schließlich zu Urbanität als geistige Haltung.
Orientierung versus Überschaubarkeit
Das Konzept der „totalen Landschaft“ (nach Rolf Peter Sieferle) löst den Dua-lismus von Stadt und Land auf, aber die Phänomene, die kulturellen Wirkungsfelder bleiben bestehen.
Deren Gleichzeitigkeit, deren Rivalität ist in Vorarlberg/im Vorarlberger Rheintal häufig spürbar. Zumeist als Reibung unterschiedlicher Lebenskonzepte und Alltagsgewohnheiten. Diese Vielfalt bedeutet aber sogar eine notwendige Qualität, um jene Impulse des Neuen und Unerwarteten zu leisten. Entscheidend ist aber der Umgang von Medien, politischen und kulturellen Entscheidungsträgern mit diesem Phänomen. Der Umgang mit Urbanität ist auch nach außen ein kritisches Signal über eine regionale Identität und von Bedeutung für frischen Input und die Fähigkeit zur laufenden Erneuerung.
Wissenschaft des Städtebaus
Dazu Erich Raith, seit 4 Jahren Interimistischer Leiter des Instituts für Städte-bau, TU Wien über die Wissenschaft des Städtebaus:
„Im Moment passiert etwas sehr Spannendes. Nachdem man Jahrzehnte lang mit den Methoden der Raumplanung versucht hat, gegen die Zersiedelungs-tendenzen anzukämpfen, und das aus guten Gründen auch heute noch macht, hat man zum Teil auch erkannt, dass diese Instrumente untauglich sind, weil man damit nicht wirklich auf diese Systemkomponenten zugreifen kann. Es ist der Versuch, Symptome zu bekämpfen – kosmetisch, aber wenn man die Mo-toren hinter dieser Entwicklung nicht in die Hand bekommt, wird man in die-sen Bestrebungen nicht effizient sein können.
Das was in der Raumplanung heute passiert, ist, dass man eher aufhört, den urban sprawl, diese Zersiedelungsbewegungen, als totale Fehlentwicklungen zu sehen, gegen die man sich stemmen muss – in der Gewissheit des Schei-terns, und man beginnt, sich für dieses Phänomen zu interessieren, man be-ginnt, es ernst zu nehmen. Wenn dies schon so passiert, wenn soviel individu-elle Interessen da sind, die hinter diesen Entwicklungen stehen, wenn man das so schlecht steuern kann, was ist es also wirklich? Hat es eine Logik?
Es hat also nicht mehr die Logik der alten Stadt und ist deshalb nicht mit den klassischen städtebaulichen Zugängen zu beherrschen. Es hat auch nicht mehr die Logik der klassischen Kulturlandschaft, deswegen ist es auch nicht mit diesen landschaftsplanerischen Zugängen zu beherrschen.
Es entsteht etwas Neues. Es entsteht ein Gemisch aus urbanen, ruralen , landschaftlichen und völlig neuen Phänomenen. Dies entsteht aufgrund von vielen individuellen Entscheidungen, die alle für sich rationell sein mögen, d.h. klarerweise ist dies eine kulturelle Leistung, die dieses hervorbringt, es ist aber wieder ein neuer Transformationsprozess des Territoriums, wo neue Mischungen von ländlichen, landschaftlichen, städtischen Aspekten stattfinden, wo sich diese Grenzen auflösen, wo ein Lebensraum entsteht, wo ein wesentlicher Faktor des Urbanen da ist, nämlich dass Leute sich entscheiden können, welche Alltagskultur sie praktizieren. Weil es ein breiteres Spektrum gibt zu leben, sich zu entfalten, wo man ganz unterschiedliche Lebensentwürfe realisieren kann.“
Robert Fabach
In: Kultur. Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft Jg. 19, Feb. 2004, Nr. 1, S. 26 – 28
Im Rahmen der Ausstellung „Austria West“ veranstalten die Architekten Heike Schlauch & Robert Fabach – raumhochrosen mit Unterstützung des Vorarlberger Architektur Instituts am 7. Febr. 2004 den Workshop „Rheintal 2043 – Ländliche Urbanität“, der dem oben beschriebenen Fragenkreis nachgeht.
Die eingeladenen Teilnehmer als “Bewohner” von spezialisierten, überregionalen Netzwerken werden gemeinsam mögliche Verflechtungen und die äußeren Ränder einer solchen Urbanität ausloten.
Was sind die Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten von Urbanität in den Regionen ?
Wie sehen Kristallisationspunkte für Urbanität aus ?
Wie sieht eine “Stadtkarte” von Knotenpunkten dieser überregionalen Netzwerke aus?
Zugleich kann daraus ein Signal an die Politik oder auch die regionale Raumplanung entstehen, Kulturpolitik, Medienvielfalt oder entsprechende Infrastrukturen als wichtige Faktoren in einer solchen Entwicklung zu sehen.
Um 20 Uhr findet im Ausstellungsraum des Vorarlberger Architektur Institut eine kurze öffentliche Präsentation der Eindrücke aus diesem Workshop statt. Mehr darüber unter: > www.ausfahrten.com/rheintal2043