"Handwerk, Form und Leidenschaft"

Text über die Entstehung des Werkraumhauses

“Handwerk, Form und Leidenschaft”

*Zwischen Markenbildung und der Entstehung einer Tradition liegen Welten. Hinsichtlich Geschwindigkeit, Nachhaltigkeit und der Möglichkeit einer gesteuerten Entwicklung. Der Werkraum Bregenzerwald scheint sich in den 16 Jahren seines Bestehens einen kulturellen Hyperraum geschaffen zu haben, in der etwas zielstrebig und doch absichtslos wächst. Gelenkt von Freiwilligen, von Begeisterten, von wechselnden Jurien und seit kurzem durch einen Strategiebeirat, kristallisieren sich Ziele und Wege erst nach und nach. Die Strategien des Handwerks scheinen die Form zu führen. Die aufmerksame Beobachtung der Substanz und ein kollektiver Prozess zwischen Experiment und Erfahrung werden angetrieben von der gemeinsamen Energie der Leidenschaft.

handwerk + form, 1991 ursprünglich als Ausstellung des regionalen Handwerks ins Leben gerufen, war bei seinem ersten Auftreten geprägt von sehr unterschiedlichem Verständnis von gutem Handwerk. Im Jahr 2000, ein Jahr nach Gründung des „Werkraum Bregenzerwald“, wurde handwerk + form wieder ins Leben gerufen und erstmals mit einer Vorjury und als Wettbewerb durchgeführt. Diese Entscheidung fachte einerseits den Ehrgeiz an, bezog aber zugleich Position zugunsten einer zeitgenössischen Gestaltung und grenzte sich ab gegen Kitsch und nebenberufliches Kunsthandwerk. Eine nicht unumstrittene Entscheidung, aber rückblickend für die Identitätsbildung absolut zweckmäßig.

Preisverleihung und Festveranstaltung wurde damals im Gemeindesaal durchgeführt, doch die schon beim folgenden Bewerb rasant gewachsene Teilnehmerzahl machte größere Räumlichkeit für die Bewirtung erforderlich. Ein Bierzelt schien dieser Initiative einfach nicht würdig. Es brauchte eine Alternative.

In der Arbeitsgruppe des Werkraum Bregenzerwald werden einige Ideen ausgetauscht und als der Ausstellungstermin näher rückte, ergreifen Zimmerermeister Michael Kaufmann und Baumeister Werner Schedler die Initiative und zogen eines Tags frühmorgens mit Werkzeug und Gehilfen los.

Drei Sattelzüge auf dem Weg zum Holzbauwerk Kaufmann, voll beladen mit Bretterstapel machten in Andelsbuch Halt und zwei Mann hievten leihweise 63 Stapel fein säuberlich auf die tags zuvor ausnivelierten Fundamentschwellen. Eine außen angebrachte Folie hielt das Gebäude dicht und die rund 100 Tonnen Fichtenholz schufen ein behagliches Raumklima. Der verwitterte Schuppen des angrenzenden Bahnhofgebäudes wurde mit eingebaut und diente als Küche und Lager.

Am Abend stand der neue „ Werkraum“ . Wände aus 1,2m tiefen Holzstapeln, ein flach geneigtes Bretterdach und eine Folienhaut bildeten ein archaisches, fensterloses Gebäude von 12 × 24 m Länge. In der Konstruktion folgte er den provisorischen Abbundhallen, die schon vor fast 50 Jahren von den Zimmerern errichtet wurden. Seine eingerückte Stirnseite, ganz im Sinn des traditionellen „Schopfs“ bot Platz für eine Sitzbank und die Kasse.

Die anderen Mitglieder des Werkraums Bregenzerwald wollten dem nicht nachstehen und so fanden sich am Wochenende drauf rund 20 Handwerksmeister ein, um persönlich Hand anzulegen. Eigentlich konkurrenzierende Unternehmer, packten sie zu diesem Zweck gemeinsam an und legten so der Initiative des Werkraum Bregenzerwald erstmals ein gemeinschaftliches Erlebnis zugrunde. An zwei Tagen wurden ohne große Planungen ein Boden eingezogen, ein Tresen um den Schuppen gebaut und Tisch, Bank und Bühne nach allen Regeln der Kunst gezimmert. Das System der offenen Bretterstapel wurde genutzt, um Bänke und Tische einzuschieben. Schließlich steckte noch eine gestaltende Hand eine Reihe kurzer Bretter ein, um darauf dicke Kerzen in Einmachgläsern als stimmungsvolle Wandbeleuchtung zu arrangieren.

Für Freitag war die Eröffnung angesetzt, und es war bereits Dienstag, als ein offener Kamin von ehr-furchtgebietenden Ausmaßen entstand. Irgendwer schnitt schwere Stahlplatten zurecht, ein Schweißgerät war rasch zur Hand und Mittwochabend zog bereits der Rauch des ersten Feuers durch den Kamin, der erst kurz zuvor durchs Dach geführt worden war. Das offenen Kaminfeuer gab der schlichten Schönheit schließlich eine kraftvolle Mitte. Ein nachfolgender Kälteeinbruch hatte Bedenken geschürt und so tauchte noch am späten Abend vor der Eröffnung ein Unentwegter auf mit einem Heizaggregat und einem Stallgebläse und installierte damit eine Luftheizung im Fußboden, veritable Hypokausten wie im alten Rom. Noch um Mitternacht sprangen die Männer hinaus in den strömenden Regen und dichteten den Boden zur Seite sorgfältig ab. Der anschließende Eignungstest der doppelt erwärmten Festhalle endete erst im Morgengrauen. Das Resultat war so überzeugend, dass schließlich auch die Eröffnungsfeierlichkeiten in den „Werkraum“ verlegt wurden und der temporäre Pavillon zum heimlichen Favoriten der Ausstellung Handwerk & Form geriet.

Überwältigt von der Stimmigkeit und Eleganz des Resultats und beeindruckt von der Schlagkraft der Handwerker stellten viele Besucher die Frage: Kann das nicht bleiben? Doch die Akteure selbst waren selbstsicher, gelassen und mitleidlos. Keine anderen Veranstaltungen, keine Sonderwünsche anderer Nutzer, keine Reparaturen. Der Pavillon war für den Moment. Was wie im Rausch entstanden war, sollte als eindrucksvolle Erinnerung glanzvoll bestehen bleiben. Anschließend wurde er wieder vollständig in den Kreislauf der Baumaterialien entlassen, aus dem er entstanden war. Die Holzstapel wurden wieder aufgeladen und fuhren weiter in die Produktion. Tisch und Boden kamen wieder auf den Holzlagerplatz. Die Dachkonstruktion war schon verkauft und die Folie fand auch ein neues Dach.

Drei Jahre später beschloss man, die Idee wieder aufleben zu lassen und fertigte mit derselben Begeisterung, an einem etwas anderen Standort erneut einen temporären Pavillon aus Holzpaletten. Wieder war der Ansporn weitgehendst Materialien zu verwenden, die anschließend wieder vollständig weiterverwendet werden können. Integriert wurde diesmal die neu gepflanzten Jungbäume aus der gerade abgeschlossenen Dorfplatzgestaltung. Tisch und Bank waren diesmal eigens entworfen und gefertigt und verliehen dem Pavillon schon mehr von der kühlen Eleganz der zum Wettbewerb eingereichten Designmöbel. 2009 schließlich kamen Fertigprodukte zum Einsatz. Knallgelbe Schalungsträger mit den charakteristischen roten Stirnflächen wurden aus der Fertigungsstraße des Kaufmann Holzbauwerks zum Andelsbucher Standplatz umgeleitet.

An diesem Punkt war schon lange der feste Wunsch und Plan gereift, den Pavillon durch ein festes „Werkraum- Haus“ zu ersetzen, das als dauerhafter Präsentationsort dienen kann. Ein festes Haus für das Handwerk. Zweifel und Kritik waren nicht unähnlich, wie sie im Vorfeld zu den Pavillonbauten zu vernehmen waren: „Unbezahlbar“, „Zu groß für euch!“ oder „Das könnt ihr nie mit Leben füllen“. Doch man war kontinuierlich gereift und hatte genug Vertrauen in die Strahlkraft des eigenen Handwerks gesammelt. Renate Breuss war seit 2008 als Geschäftsführerin vollzeitlich angestellt und koordinierte auch die Idee des Handwerkerhauses. Der entscheidende Entschluss keinen Planer aus der Konkurrenz der Architekten auszuwählen, sondern den international renommierten Architekten Peter Zumthor für eine gemeinsame Entwicklung zu beauftragen, hoben Anspruch und Herausforderung des Projekts nochmals auf ein neues Niveau. Der seit Jahrzehnten mit dem Bregenzerwälder Handwerk verbundene Künstlerarchitekt brachte freilich eine geistesverwandte Leidenschaft in den Entstehungsprozess ein, die den ungleich anspruchsvolleren und längeren Planungsprozess mit der Verve und der Rigorosität jener Tage versah, in denen mit größter Energie die ersten Pavillons gebaut wurde. Die radikalen Wege auf denen Zumthor den Entwurf zum heutigen Resultat führte und die Entschlossenheit und Meisterhaftigkeit, mit der er umgesetzt wurde, mussten sich 2012 erneut auf dem Experimentierfeld des Handwerk + Form Pavillions beweisen. Mit viel schwarzer Folie und einer improvisierten und aufwändigen Innenausstattung wurde der offene Rohbau zum Pavillon des Wettbewerbs.

2013 wurde das Werkraumhaus fertig gestellt und der Betrieb hat sich weitgehend bewährt. Die Energie und die Leidenschaft, die im Handwerk steckt, ist sich der Notwendigkeit und der eigenen Mission bewußt. In einer konsumorientierten und zunehmend virtualisierten Alltagswelt sind Gegentrends und ein kontinuierlicher Bewußtswandel zwar spürbar, aber brauchen permanente Innovation und jeden Impuls, der verfügbar ist, um eine kritische Masse zu erreichen. Qualitätsbewußtsein und Nachhaltigkeit haben als Trends an Neuheitswert verloren und es ist immer mehr internationale Lobbyarbeit und das Diktat des Preises, die gewaltsam Märkte aufbrechen und mit Industrieprodukten fluten.

Bislang scheint die Evolution aufzugehen. Aus der offenen Ausstellung 1991 sind ein Qualitätsbegriff und ein internationales Netzwerk geworden, der sich zu einem international wahrgenommenen Bauwerk manifestiert hat, das wiederum glaubhaft mit Leben erfüllt wird und nun sich auf dem Weg zu einem neuen Ziel befindet. Mit der Methode des Experiments und der Steuerung durch temporäre Expertise hat sich der Werkraum analog zum Wettbewerb entwickelt. Um das ehrenamtliche Gebilde hat sich ein Ort manifestiert, hat sich ein institutioneller Rahmen entwickelt, der nun seine Reproduzierbarkeit anstrebt. Das Bemühen um die Weitergabe von handwerklichem Wissen und einem bestimmten Bewußstein steht am Beginn einer neuen Häutungsphase, die nicht weniger als eine kulturelle Grundkonstante der Region bewahren will.

Robert Fabach

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Material:

Handwerk, Form und Leidenschaft

Die Geschichte des Wettbewerbs handwerk + form und des Vereins Werkraum Bregenzerwald ist geprägt von Leidenschaften und dem praktischen Diskurs um Qualität und Handwerk. handwerk + form, 1991 ursprünglich als Ausstellung des regionalen Handwerks ins Leben gerufen, war bei seinem ersten Auftreten geprägt von sehr unterschiedlichem Verständnis von gutem Handwerk. Durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Andelsbucher Handwerkerverein, waren bereits erste Anzeichen einer neuen Orientierung zu sehen. 1999 folgte die Gründung des „Werkraum Bregenzerwald“ zu dessen Hauptaktivitäten seit dem Jahr 2000 die reflektierte Weiterführung der Ausstellung als Wettbewerb zählt.

Diese kontinuierliche Auseinandersetzung im Handwerk wurde seit den 1960er Jahren und vor allem ab den 1980er Jahren begleitet durch die konzeptionellen und gestalterischen Impulse der Vorarlberger Baukünstler und ihrer Vorläufer. Das wohl berühmteste Beispiel dieser Frühzeit ist die Zusammenarbeit des Architekten Leopold Kaufmann mit seinem Schwager Josef Kaufmann, der bereits seit 1957 einen äußerst innovativen Zimmereibetrieb auf technisch internationalem Niveau führte. In einer beispielgebenden Begeisterung für technische Neuerungen, gepaart mit dem fanatischen Bekenntnis zum Werkstoff Holz wurden Holztragwerke aus Nagelholz und Leimholz in immer größeren Spannweiten entwickelt. Das anspruchsvolle architektonische Umfeld sorgte für zahlreiche, mittlerweile historische Beispiele in der regionalen Architekturgeschichte.

War es zu Beginn die modernistische Begeisterung an Ingenieurskonstruktionen, so waren es rund 30 Jahre später Begriffe wie Alltagstauglichkeit, Materialgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit die Architektur und Handwerk als Maßstab dienen sollten. Das Einverständnis darüber entwickelte sich in der Zusammenarbeit bei handwerklich anspruchsvollen Projekten, wie dem vom Architekten Hermann Kaufmann geplante Umbau des Gasthofes Adler in Schwarzenberg, wo es die Verbindung von Alt und Neu zu bewältigen galt. So erscheint es folgerichtig, dass sich nahezu alle Beteiligten einige Jahre später als Mitglieder im 1999 gegründeten Werkraum wiederfinden. Dieser regionale Zusammenschluss von 100 Handwerkern – ein knappes Drittel sind Tischler – aus verschiedenen Branchen trägt bis heute eine sehr eigenständige und selbstbewußte Entwicklung.

Anlieferung Aufbau

Aufbau

Fertigstellung

Aufbau Pause

Eröffnung

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