Text zur Nachschau von Getting Things Done
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
18.4.2014
Werkraum Bregenzerwald, Andelsbuch
Das Angebot war provokant. Die Kulturabteilung des Landes Vorarlberg und das Österreichische Außenministerium vergaben den Auftrag für Wanderausstellung zur Architektur aus Vorarlberg, um den 32 österreichischen Kulturforen in der ganzen Welt eine Ausstellung zu bieten. Was ist Baukultur aus Vorarlberg?
Die Komplexität des Phänomens rückt die Fragestellung selbst ins Paradoxe. Und wird bereits zum dritten Mal im Abstand einer Dekade eine Antwort versucht.
Selbstfindung – Selbstverständnis
1991 wurde das Preisgeld des Internationale Kunstpreises des Landes Vorarlberg, von der ausgezeichneten „Gruppe der Vorarlberger Baukünstler“ einem Ausstellungsprojekt samt Katalog gewidmet. Bereits hier waren es zwei externe Kenner der Szene – Friedrich Achleitner und Otto Kapfinger –, die gebeten wurden eine Auswahl mit letztlich 170 Projekten innerhalb der Vorarlberger Landesgrenzen zu treffen, die 1993 in der Bregenzer Künstlervereinigung mit der Ausstellung „Architektur in Vorarlberg seit 1960“ gezeigt wurde. Eine Ausstellung, die „damit weniger detaillierte Aufarbeitung, als vielmehr Chronologie und Typologie einer regionalen Architektur“ sein wollte „und so die Bilanz einer von Vielfalt und Gemeinsamkeit geprägten kulturellen Entwicklung dokumentieren“ wollte. (Zitat Bernhard Purin, 1991 als Kurator der Ausstellung) Das programmatische Grafikdesign des Katalogs wurde damals von Harry Metzler, Schwarzenberg erstellt. Preis und Ausstellung waren quasi Spätfolgen des Kammerstreits (1984) der wesentlich zur Formierung und zum Selbstverständnis, aber auch zur Sichtbarkeit außerhalb Vorarlbergs geführt hat. Der Katalog mit seiner angeschlossenen Bibliografie und einem Orts- und Personenregister setzte erstmals eine Fassung um ein virulentes, aber bislang nur journalistisch erfasstes Phänomen.
*„Vom Gerücht zum Mythos“ *
Zehn Jahre später ging eine breit angelegte Ausstellung unter dem Titel „Konstruktive Provokation“ auf Wanderschaft durch Europa. Impuls und Fragestellung kamen diesmal aus Frankreich. Ein Kreis von Architekten rund um das VAI hatte Fragestellung und Antworten schließlich selbst in die Hand genommen, hatte sich zu Konzeption und fachlicher Expertise erneut Otto Kapfinger geholt und in Kooperation mit dem Grafiker Reinhard Gassner, Schlins eine Präsentation erstellt, die nicht vorrangig auf das „Was?“, sondern vor allem auf das „Wie?“ Antworten geben wollte. Auf sechs Kuben mit unterschiedlichen Themenportalen wurde Architektur in Vorarlberg in 13 räumliche Erzählungen gegliedert, in die man sich über öffenbare Klapp- und Schubladen vertiefen konnte. Ein kompaktes Büchlein im Format eines Architekturführers setzte diese Vertiefungen fort über Essays, Bildstrecken und einen ausführlichen statistischen Abschnitt, der konkret bis ironisch Land und Umfeld des Vorarlberger Bauens quantifizierte. Diese Erzählungen waren erklärend und zugleich ein Instrument zur Selbstfindung und Selbstdarstellung, die Ausstellung ein Spiegel ihrer Zeit und ihrer Produzenten. Bald sah man sich mit Überhöhungen konfrontiert, wie das „in der internationalen Fachwelt geradezu umjubelte Zentrum der zeitgenössischen Architektur in Europa“ (Zitat aus dem Ankündigungstext des AZW, 2005), die im Land selbst mit zunehmendem Unbehagen registriert wurden.
Selbsterkundung und Weltbefragung
2013, zu Beginn der Arbeiten an Getting Things Done, hatten diese Erzählungen eine gewisse Überreife. Die Zahl der Architekturtouristen hatte sich eingependelt und die mehr oder weniger touristischen Kurzfassungen zur Vorarlberger Baukultur gerieten schleichend in Diskrepanz zum wirtschaftlichen Umfeld und zu den aktuellen Produktionsbedingungen der Architektur. Es war naheliegend, daß eine neue Ausstellung über ein Update hinaus, auch im Narrativ und in der Methodik der Architekturbetrachtung neu zu konzipieren war.
Erschwerend für jede differenzierte Antwort ist zurzeit, daß der Blick auf Architektur massiv durch Mechanismen der Vermarktung und kommerzielle Sehgewohnheiten in der Architekturdarstellung verstellt ist. Der Wettbewerb wird über Bilder ausgetragen. Hatte vor 20 Jahren ein Architekturbuch noch Position und kritisches Gewicht, so stehen wir heute einer Flut von selbst finanzierten Monografien gegenüber. Fachzeitschriften beschränken ihre Architekturkritik zumeist auf die Auswahl der Projekte. Zum anderen feuert im Lande eine fortschreitende Popularisierung zeitgenössischer Formelemente, die Architekturmoden und Stereotypen ständig an. Eine kritische – gar gesellschaftskritische – Rezensionskultur, die über Einzelgebäude hinaus will, kämpft auf schmalen Stellungen. Die Gewässer scheinen schwierig, durch die ein solches Projekt navigiert werden muss.
So wurde auch diesmal der Blick in der Vorbereitung stark geweitet. Chronologisch und personell. 50 Jahre, mindestens 1.000 Akteure und unterschiedlichste Wirkungsfelder, die mal in die bildende Kunst, in das Handwerk, mal in den gesellschaftlichen Widerstand und mal in den internationalen Mainstream oszillieren.
Mit entsprechend offenen Fragestellungen und einem vielschichtigen Instrumentarium hatten Wolfgang Fiel und sein Team ihre Routen für die Recherchen ausgesteckt und sind damit vor rund einem Jahr in ein sehr vielschichtiges Arbeitsfeld eingestiegen. Herausgekommen sind mehrere, umfangreiche und dichte Materialsammlungen, Archivblöcke, die aufbereitet in die Ausstellung transferiert wurden. Die Projekte sind durchaus eine Auswahl. Vorzugsweise aus den letzten zehn Jahren, mit Bezug zu den fünf Themenblöcken und mit einem großen Interesse für Standorte außerhalb Vorarlbergs. Was passiert, wenn diese Architektur den Raum Vorarlberg verlässt?
Der Bilderblock
Er zeigt Projektpräsentation, auf 65 textile Bildträger gedruckt und in fein gearbeitete Holzgerüste wie Fahnen oder Stoffmuster eingehängt. 65 Feature-Projekte mit Projektbeschreibung, Factbox und Plan auf der einen, sowie weitere Projektbilder als Kontext, kommentarlos auf der Rückseite, ergeben eine Fülle von 210 dargestellten Bauten. Das Format von 72 × 110 cm und eine ausgefeilte Bildaufbereitung lassen einen hohen Detailreichtum zu und sollen dem Betrachter verhelfen einzutauchen. An den beiden Enden sind Videoscreens eingehängt, die dreiminütige Ausschnitte mit englischer Tonspur aus über 70 etwa einstündigen Interviews zeigen. Ein dichter, dokumentarischer Querschnitt, der nicht nur Einblick in Praxis und Arbeitsumfeld von Akteuren und Kommentatoren der Baukultur bringt, sondern auch mit Fragen über Ausbildung und Anfänge einen Streifzug durch die Architekturgeschichte unternimmt. Durch diesen Block mit seinen biografischen und zeitgeschichtlichen Details ziehen sich auch häufig spitze Analysen und sehr direkte Reflexionen über die aktuelle Situation der Baukultur. Auf einem der Screens werden laufend Kommentare und Wortspenden der Ausstellungsbesucher eingespielt.
Räumlich illustriert wird die Präsentation durch 12 handwerkliche Musterbeispiele, ausgewählt aus den Preisträgern von „Handwerk und Form“. Das Handwerk als Peripherie leistet zugleich die Bestuhlung der Ausstellung oder präsentiert sich auf Sockeln als Anschauungsobjekte. Beispielhaft auch die Hängegerüste und die Transportkisten selbst, die wie eine Wendejacke beidseitig verwendbar sind. Außen Transportcontainer – innen Ausstellungssockel.
Diskursblock
Als Diskursblock tritt eine großformatige Reihe von Heften auf, die als Katalogersatz während der Laufzeit der Ausstellung kontinuierlich auf 12 Magazine anwächst und die Schwerpunktthemen abarbeitet. Zugleich sollen Reaktionen und aktuelle Ereignisse wieder in die Hefte eingespielt werden. Die anfangs angekündigten Themenblöcke übertiteln die Magazine, die das Material der Ausstellung jeweils eigenständig kommentieren.
Wanderarchiv – Offline und Online
Die gesamte Ausstellung mit ihrem Hängeregister, den zwei Videoscreens und einem Lesetisch mit der Heftreihe und ausgewählter Literatur versteht sich als Wanderarchiv. Es will nicht klassisch in kontemplativer Betrachtung rezipiert werden, sondern aktiv benutzt. Vergleichbar mit einem offen aufgeschlagenen Buch, in dem man blättern kann. Ein Zwitterwesen aus Foliant und Fundus, das kaum Leseanleitungen bereithält. Die Masse an Material zeigt jedem Besucher nur Ausschnitte. Die jeweils zufällige Hängung oder die jeweilige Neugier Bildträger selbst zu entnehmen, zu wenden oder umzuhängen entscheiden über Auswahl und Anordnung des Gesehenen.
Darin zeigt sich die Ausstellung, wie ihre Vorgänger, auch programmatisch als Spiegel der Zeit, der postdogmatisch auf die Dynamik von Datensammlungen und interaktive Schnittstellen vertraut. Ziel war – so der Kurator – so viele Dinge wie möglich auf den Tisch zu legen und dem Besuchern die Chance zu geben, eine eigene Interpretation zu erstellen. Zurückbleibt aber auch ein Betrachter, bzw. ein internationales Publikum, das mit dem Archiv, dessen Auswahl und den Eigengesetzlichkeiten der Medien selbst umgehen muss. Über 700 Architekturfotografien liefern einen bildmächtigen, zwangsläufig konstruktiven Ergebnisbericht. Zwischentöne bleiben den Geduldigen oder Neugierigen vorbehalten. Wolfgang Fiel vertraut jedoch auf das Material. Brechungen sollen dennoch erkennbar sein und vor allem im Magazin ihren Raum finden. Die kritische Dimension ist für den Kurator durchaus deutlich eingelagert im Material.
Folgerichtig entsteht komplementär zur Ausstellung eine Website, auf der weitere Materialien, darunter auch die Interviews in voller Länge abrufbar sein sollen. Deren Inhalt bleibt aber unübersetzt. Ein architekturhistorischer Fundus, persönlich, authentisch, der sich primär an die Baukultur in Vorarlberg selbst richtet. Ein Spiegel, ein Fundus, der Material und Stichworte liefert für zukünftige Debatten. Ob und wie diese ausgelöst werden können, bleibt dem Geschick der baukulturellen Moderatoren im Land und der Brisanz der Themen überlassen.
Fabach, Bregenz, 19.8.2014
?