„Anders als gewohnt“ Architekturtage 2012 zum Thema Wohnkultur. Fr 1. & Sa 2. Juni 2012

Text zu den Architekturtagen 2012
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
19.4.2012

Architekturtage 2012 zum Thema Wohnkultur

Einst eine Domäne, scheinbar ein Standard, in Wirklichkeit ein Stiefkind. Der Wohnbau in Vorarlberg hat einen Ruf und Realitäten. Wer sich heute die raue Wirklichkeit vor Augen führt, rund um eine fade, aber hochgradig kommerzialisierte Angebotslandschaft, einen überaus knappen Grundstücksmarkt, ambitionierteste Ziele in den Vorgaben der Wohnbauförderung und eine jährliche Verteuerung des Bauens um 2,5%, der weiß, dass guter Rat gefragt ist, wenn er nicht teuer sein soll.
War der Wohnbau vor allem im kleinen Maßstab ein Match zwischen Bauherrschaft und Architekt, haben sich durch ständig steigende Standards an Sicherheit und Ökologie eine Reihe von Ingenieuren ins Spiel gebracht. Hohe Grundstückspreise erhöhen den wirtschaftlichen Druck auf die Projekte und in einer kompetitiven Bauträgerlandschaft diktieren oft Verkäufer die Grundrisse und Kostenrechner Wohnungsgrößen und Fassadenmaterial. Architekten werden da schnell zu Begleitmusikern. Das mag überspitzt klingen, bestätigt sich aber durch einen Blick auf das Immobilienangebot. Mainstream bestimmt das Bild. Wer jetzt noch Sonderwünsche hat, wird mit 100 scharfen Argumenten zurecht gestutzt. Freilich gibt es auf allen Seiten besonnene Kräfte, aber es bedarf gemeinsamer Anstrengungen, um diese Lawine der technisch einwandfreien Langeweile zu stoppen. Freilich geht mit Geld viel, aber der Einfamilienhausbau wird selbst für den Mittelstand zur existentiellen Herausforderung.

Von der technischen zur sozialen Intelligenz
In diesem Spannungsfeld hat man sich jahrelang auf das Haus als Maschine konzentriert. Nach diesem Etappensieg der Ingenieure, die den technisch bedrohlichen Gesamtzustand des Globus der Politik mit Nachdruck vermittelt haben, beginnt man den Blick zu heben. Rufe nach der Qualität der Zwischenräume, der Quartiere und des Zusammenlebens werden langsam gehört.
An diesem Punkt scheinen die Kompetenzen der Architektur gefragt und zu deren Vermittlung wollen diese Architekturtage einen Beitrag leisten.

Was gibt es zu sehen?
Das vollständige Programm ist unter www.v-a-i.at nachzulesen. Vieles findet an beiden Tagen statt. Das Meiste ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar oder mit Shuttle Bussen organisiert. Auch das ein Signal des Veranstalters: Wohnen braucht nicht zwangsläufig ein Auto.

Ausstellung: Die flämischen Architekten Jan de Vylder, Inge Vinck und Jo Taillieu entwickelten für die Räume des VAI eine eigene Ausstellung, die Projektfotos, Skizzen und Zeichnungen, aber auch Modelle, Möbel und Materialmuster zu einer eindrucksvollen Werkschau verdichtet. Intuition und Assoziation folgend entsteht ihre detailversierte Architektur jenseits des Gewohnten, die mit sparsamen Gesten große Wirkung erzeugt. (vai, Dornbirn, Marktstraße 33, täglich 11-17 Uhr, sowie Führungen Fr 14 Uhr und Sa 11 Uhr)

Baugruppen als Chance: Ein lebendiges Thema das gerade in der Luft liegt und das die Vorarlberger Architektur schon in ihren Anfängen begleitet hat. Pionierprojekte wie die Siedlung Halde in Bludenz, 1963 oder die Siedlung Ruhwiesen in Schlins waren zugleich ambitionierte Beispiele für Baugruppen und selbstbestimmtes Wohnen.. Echte Wohnexperimente mit einer starken Vision waren Ende der 70er Jahre die ersten Projekte der Architektengruppe „Cooperative“, die erfolgreich den Mehrwert gemeinschaftliches Bauens und Wohnens unter Beweis stellten. Und auch heute interessieren sich immer mehr Menschen für Baugemeinschaften und individuelle Antworten auf ihre aktuellen Wohnbedürfnisse und ihren Lebensstil. Sie wollen dies mit einer Gruppe selbst in die Hand nehmen. Ausstellung und Vorträge zu gelungenen Beispielen informieren über Praxis und Erfahrungen. Ein Workshop stellt bestehende Gruppen vor und erklärt Gründungsmodelle. Interessierte können in das Thema eintauchen, Gruppen beitreten oder neue gründen – und sogar mit der Option auf ein Grundstück rechnen! Alles gipfelt dann – open end – in einer großen Baugruppen-Party. Eine Kooperation der „Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen“ in Wien und „tisch:Wir bauen Nachbarschaft“ in Bregenz. (Fr 18 Uhr, Dornbirn, Office am Rathausplatz 4). Anmeldung bei „tisch:Wir bauen Nachbarschaft“ (Tel. 05574 43173 oder www.tisch.me)

Wohnen und ein Zuhause braucht einen kulturellen Hintergrund: Dies wird bei der Präsentation des islamischen Friedhofs deutlich. Dazu gibt es eine Ausstellung (Fr/Sa 11 – 18 Uhr; Dornbirn, Goethestraße 4) und eine Projektvorstellung (Fr 15 Uhr in der Ausstellung). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit zur Besichtigung (Sa 15:15, Abfahrt Shuttle Bus, Rathaus Dornbirn). Das Projekt ist ein interessanter Beitrag zur Frage, welche Vielfalt von Lebenswelten in Vorarlberg möglich ist und auch ein Beispiel für die Professionalität mit der ein Vorarlberger Architekt diese religiös – kulturellen Aufgabenstellungen betreut hat.

Wem gehört der öffentlichen Raum? Die Projekte „Halböffentlicher Raum/Voll Daneben“ und „Offensichtliche Privatangelegenheiten“ fragen: Ist halböffentlicher Raum halb öffentlich oder halb privat, halb leer oder halb voll oder voll daneben? Zwei künstlerische Installationen von Architekturstudenten der Universität Liechtenstein loten aus, was uns Wohnen bedeutet. Projektvorstellung um 11 Uhr (Dornbirn, Ecke Schulgasse/Mozartgasse) und 12 Uhr (Dornbirn, Rathausplatz).
Interventionen im öffentlichen Raum: „World picnic“ und andere Kunstprojekte spielen mit den Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Wohnraum. Das „Wohnlabor“, ein spielerischer Workshop für Kinder und Jugendliche findet beim VAI-DOMA, einem Wohncontainer vor der Inatura statt. (Fr 14 Uhr, Sa 10 Uhr).

Drei „Wahrnehmungsspaziergänge“ gehen im Wortsinn den Themen „Atmosphäre der Stadt“ (Fr 14 – 18 Uhr), und „Wohnen in der 2. Lebenshälfte“ (Fr 15 Uhr) und „Stadtwohnungen für Jungfamilien“ (Sa 9-12 Uhr) nach, jeweils vom neu errichteten Holzhochhaus in Rhomberg´s Fabrik. Dort ist eine Info-Plattform der Vision Rheintal, des Energieinstituts und der Wohnbauförderung eingerichtet.

Zwölf kontroverse künstlerische Projekte fragen an sechs Standorten nach der Bedeutung des Wohnens als elementares Bedürfnis. Unter anderem wird dabei auch ein Stück Dornbirner Lebenskultur, die Weltlichtspiele – das Kino wurde 2010 geschlossen – für eine Filmvorführung wieder auferstehen. Alle Infos: www.v-a-i.at

Nonstop – ArchitektInnen zum Thema Wohnen: Am Samstag wird im Sendesaal des ORF Landesstudios laut zum Thema Wohnen nachgedacht. Nonstop von 13 bis 19 Uhr liefern 20 ArchitektInnen Infotainment zu den Potentialen einer kreativen und praxiserprobten regionalen Szene.

Robert Fabach, Bregenz 19.4.2012