Text zur Gemeinwohl-Ökonomie
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
21.6.2012
Gemeinwohl? Ökonomie? Eine Bewegung als Zeitbild.
Gespenstisch, bitter und zugleich luzid können die medialen Bilder eines einzigen Tages des Jahres 2012 sein. Mitunter ergeben sich aus den Überlagerungen seltsam bedeutungsvolle Sequenzen, eine Montage, ein Tagtraum, in dem sich scheinbar Zufälliges gegenseitig kommentiert.
Koinzidenzen [ViererBild mit Fernsehinterview, griech. Flagge, Gemeinwohl Logo und BlackBrownWhite Filmplakat ]
Zeitgleich zur Pressekonferenz der Vereins „Gemeinwohl-Ökonomie“ im katholischen Bildungshaus St. Arbogast: konnte man einen Zeitungsbericht lesen über den durch Zahlungsausfälle drohenden Zusammenbruch der griechischen Stromversorgung mit gravierenden Folgen für die gesamte Gesellschaft, konnte man ein Fernsehinterview des englischsprachigen Senders Aljazeera mit einem britischen Hedgefonds Manager verfolgen über das Recht der Kapitalmärkte, 72% der EU-Hilfe für Griechenland direkt internationalen Investoren und Zeichnern von Anleihen zur Verfügung zu stellen und trifft auf die abendliche Vorführung eines Films von Erwin Wagenhöfer über die tägliche Realität von Menschenschmuggel und internationalen LKW- Lebensmitteltransporten beispielsweise aus der Ukraine nach Marokko und zurück nach Österreich.
Das wirklich Bemerkenswerte an Griechenland ist, dass sich das Schicksal zahlreicher Staaten der 2. und 3. Welt rasend auf Europa auszudehnen beginnt und dass diese Ereignisse wie in einer Gegenbewegung mit den Aufständen in der arabischen Welt zusammenfallen. Schlagzeilen über den Sturz von „Diktatoren“, die in Europa regelmäßig kollektive Zustimmung und Empathie ausgelöst haben. Die Bilder von Straßenschlachten, vom flinken Seitenwechsel internationaler Politiker und von wütenden Demonstranten verschwimmen ineinander. Entsolidarisierung und die Hybris ungebrochen rasender Spekulationen.
Bemerkenswert ist auch die zunehmende Gleichzeitigkeit, mit der all diese Dinge ins Bewußtsein treten. Geographisch weit verstreut, durch gigantische Netzwerke angetrieben, nun medial verdichtet und wie hinter Glas zu einem Zustandsbild vereint. Welche Konditionierungen und welche Betäubungsmechanismen sind in unserer Welt wirksam, um mit diesen Nachrichten leben zu können? Was geschieht, wenn sie plötzlich ihre Wirksamkeit verlieren, wenn mehrere Menschen mit den selben Bildern zusammentreffen und beginnen etwas zu unternehmen? Und vor allem: Können sie überhaupt etwas tun?
Eine dieser Initiativen ist die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie, die seit dem Mai 2011 auch in Vorarlberg angekommen ist. Damals stellte der Autor Christian Felber das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie bei den „Tagen der Utopie“ vor, das sich vorrangig an Unternehmen richtet und neue Werthaltungen für die Wirtschaft sucht. „Aus einer Handvoll engagierter Personen hat sich mittlerweile das Energiefeld Vorarlberg – eine regionale Unterstützungsgruppe – mit über 150 aktiv interessierten Personen gebildet. Auch innovative Unternehmen, die die Gemeinwohl Bilanz erstellen und somit aktiv ein Zeichen setzen wollen, ließen nicht lange auf sich warten.“ So leitet die Pressemitteilung des Vereins die diesjährige Präsentation von 14 Gemeinwohl-Bilanzen von namhaften Vorarlberger Unternehmen ein. Auffallend ist die starke Durchmischung mit unterschiedlichsten Branchen. Von Einpersonenunternehmen, über mittelständische Handwerksbetriebe, über das Kunstmuseum Liechtenstein oder auch das Energieinstitut Vorarlberg, bis zu einem Baukonzern ist selbst in der überschaubaren, frisch gestarteten Regionalgruppe/Energiefeld Vorarlberg alles zu finden.
Dahinter steht nicht weniger als die Suche nach konkreten Antworten und Handlungsalternativen auf die einleitend skizzierten, globalen Dramen der Gegenwart.
Die Kritik setzt an der ausschließlichen Verknüpfung von Unternehmenserfolg mit rein finanziellem Erfolg an, da dieser finanzielle Erfolg in der Praxis der realen Marktwirtschaft oft durch – allgemein gesprochen – unethisches Verhalten erzielt würde. Was hier angestrebt wird, ist ein einheitliches Instrument für eine umfassendere Bewertung von wirtschaftlichen Einheiten, die ihren gesellschaftlichen Eintrag darstellen sollen. Das Modell ist im Grunde marktwirtschaftlich und sucht neue oder andere Kriterien für den Wettbewerb.
Die Benchmark aus der Gemeinwohl-Bilanz, die sich am langen Ende als eine Zahl zwischen 0 – 1000 ausdrückt, dient zur Zeit hauptsächlich als Zusammenfassung eines ausführlichen Reflexionsprozess im Unternehmen, soll aber langfristig zu einem öffentlichen Merkmal werden und zum Kriterium bei öffentlichen Fördergeldern und andern Entscheidungen der öffentlichen Hand erwachsen.
Ermittelt wird diese Bilanz, dessen Gerüst von Unternehmern aus Österreich, Deutschland und Südtirol entwickelt wurde und weiter basisdemokratisch modiziert wird, anhand von 17 Kriterien, die sich an 5 Grundwerten orientieren:Menschenwürde, Solidarität, Ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit und Demokratische Mitbestimmung & Transparenz sind die Überbegriffe, die im Umgang mit fünf Berührungsgruppen überprüft werden.
Dabei scheut man auch den internationalen Maßstab nicht. Am 6. April 2011 ist die französische Ausgabe “L’économie citoyenne”, am 1. Juni eine spanische Ausgabe “La Economía del Bien Común” erschienen.
Solide Visionäre
Eine Einordnung fällt schwer. Die Menschen auf die man trifft, die Unternehmer, die ihre Arbeit und Motivationen darstellen wirken grundsympathisch und selbst die heterogene Zusammensetzung überzeug. Die Vision ist klar und wird von vielen auch schon gelebt. Doch der Teufel steckt im Detail. Eine häufige Erkenntnis bei der Arbeit an der eigenen Bilanz waren unerwartete oder unbeachtete Aspekte im Unternehmensalltag, die aber nach der Gemeinwohlmatrix ihre Auswirkungen auf das soziale Umfeld haben.
Ein solcher Wertewandel führt zu ganz grundlegenden Fragen und einige Dispositionen in der inneren Struktur der Bewegung provozieren auch ungewohnte bis irritierende Assoziationsfelder.
Tiefgreifende Fragestellungen und das Ende einer Schizophrenie der Werte.
Die Anonymität des internationalen Wettbewerbs hat gerade auch durch die (erzwungene) Öffnung zur EU eine Reihe von offenen und subtilen Veränderungen in unsere Alltagskultur gebracht. Viele tiefgreifende Fragestellungen und Neubewertungen werden notwendig, wenn man diesem Diktat des reinen Wettbewerbs entgehen und sich auch im Unternehmen zu persönlichen und privaten Grundwerten bekennen will. Als Unternehmer geht es oft um das Abwägen zwischen Billigpreisstrategie und Regionalität und Qualität. Entscheidungen, die von existentieller Bedeutung sein können. Gerade an diesem Punkt ist Vorarlberg in Bereichen, wie zB. Lebensmittelhandel oder der Baukultur in der glücklichen Situation, dass der Stellenwert von Regionalität und Nachhaltigkeit vergleichsweise hoch ist. Doch auch in vermeintlich gemeinwohlökonomisch gesicherten Bereichen können Überraschungen und Wahrheiten lauern, die manchen Mythos zurechtbiegen. In der systematischen Versachlichung von Wertfragen liegt sicher ein großer Vorteil des gemeinwohlökonomischen Bewertungssystems.
Dies bestätigen Unternehmen wie eine erfolgreiche Vollholztischlerei oder auch das Energieinstitut Vorarlberg, die viele der genannten Werthaltungen bereits in sich tragen.
Verein, Bewegung, Geschäftsmodell oder Pseudoreligion?
Gesamthaft scheint die aktuelle Konstruktion der Bilanz und des Vereins um Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit bemüht. Im üblichen Maßstab wird auf die Ehrlichkeit des Unternehmens vertraut, schreibt aber für werbewirksame Veröffentlichungen der eigenen Bilanz oder auch für besonders gute Bilanzergebnisse ein externes, kostenpflichtiges Auditing vor.
So unkompliziert und sympathisch dies im kleinen informellen Maßstab daherkommt, so sehr bauen sich Fragen auf, wenn derartige Modelle eine rechtliche Verbindlichkeit und ökonomische Auswirkungen haben sollen. Gerade die sehr detaillierten Vorgaben erreichen manchmal eine dogmatische Dimension. Radikale Ansprüche sind mitunter visionär, mitunter auch ideologisch vorbelastet. . Welcher Unternehmer übereignet sein Familienunternehmen seinen Mitarbeitern, wenn es gemeinwohlökonomisch zu groß geworden ist? . Eine Vision, die gerade Realität wird sind am Gemeinwohl orientierte Banken und Finanzierungsmodelle, die quasi am Herz des Kapitalismus ansetzen. Hier entwickelt Christian Felber, der Autor der „Gemeinwohl-Bibel“ eine Reihe von ambitionierten Vorschlägen und Konstruktionen, die etwas vom Geschmack der Paralleluniversen der Anthroposophen oder religiöser Siedlerbewegungen entwickeln.
Zwischen Überzeugungsarbeit und Public Relation.
An diesem Punkt setzt auch die externe Kritik ein, wenn weltanschauliche Fragen konservative Polemik provoziert, oder auch wenn ehemalige Mitstreiter aus der ATAC Bewegung, einen universellen und autokratischen Anspruch des Erfinders spüren, der sich in umfangreiche Visionen für staatliche Lenkungsmechanismen ausbreitet. An diesem Punkt sei auch auf eine nicht immer nachvollziehbare und mitunter fast demagogische Argumentation Felbers hingewiesen, die manches überzeichnet. Die Strategie, die reale Praxis einer Marktwirtschaft mit all ihren kriminellen Auswüchsen, dem mädchenhaft reinen Ideal einer alternativen Gemeinwohlökonomie gegenüber zu stellen, begeistert zwar „Jünger“ und Fans, verzerrt aber wirkliche Ansatzpunkte und verschiebt vielleicht berechtigte Kritik auf die Ebene eines Glaubenskampfs.
Hier mag man auf die postulierten basisdemokratischen Charakter der Bewegung vertrauen und sich auf Gefühl, Hausverstand und die Eigendynamik der Regionalgruppen verlassen. Das Engagement ist überzeugend und die Umstände zwingen gerade dazu, derartige Alternativen aufzugreifen. Eine kritische Auseinandersetzung zu Form und Inhalt ist vermutlich die beste Erfahrung, die jede demokratische Bewegung und jede Form von Wandel machen kann.
Robert Fabach, Hörbranz 21.6.2012
Links:
http://www.gemeinwohl-oekonomie.org
www.tagederutopie.org (2011, Vorträge zum Download
http://www.streifzuege.org Kritische Beiträge von Alexander Exner und Brigitte Kratzwald.
http://www.blackbrownwhite.at Film von Erwin Wagenhöfer, 2011
http://www.aljazeera.com/programmes/countingthecost Internationale Beiträge zur Krise der Weltwirtschaft.