Krise goes Pop! Architektur am Rande des Abgrunds?

Text zur Ausstellung im VAI
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft
21.8.2015

SHIFTS Ausstellung im VAI

SHIFTS, also „Veränderungen“ lautet der proklamatische Titel der aktuellen Ausstellung im VAI in Dornbirn. Die Schau wurde 2012 in London und später in Kopenhagen gezeigt und ist eine Aktualisierung der Ausstellung „Rien ne va Plus“ aus dem Jahr 2008, einer früheren Zusammenarbeit zwischen Powerhouse Company und Hans Ibelings, die den Einfluß der Finanzkrise auf die Architektur untersuchte. SHIFTS geht der Frage nach der aktuellen Situation „westlicher Architektur“ nach und läßt vor allem in den textlichen Ausführungen keinen Zweifel über ihre Apokalypse. Die Autoren, die Niederländer Nanne de Ru und Hans Ibelings erklären uns mit anschaulich illustrierten Statistiken und Datenmaterial, mit polemischer Didaktik und freundlicher Genugtuung die Unausweichlichkeit des Untergangs.

In der Nachfolge von „SMLXL“ – Urban, strategisch, global.
Die Argumentationen sind alles andere als aus der Luft gegriffen. Die ausgestellten Modelle sind Illustrationen und Zuspitzungen ausgewählter Beobachtungen und Statistiken und dienen als gedanklicher Einstieg in verschiedene Wirkungsfelder, denen „die Architektur“ heute ausgesetzt ist. Vorangestellt seien zwei Hinweise: Die Autoren räumen selbst einen kalkulierter Eurozentrismus ein. Fast lustvoll demonstrieren sie die Ausweglosigkeit dieser populären, aber historischen Weltsicht. Aktuelle Strategien von heute lassen genau diese Irrtümer bereits hinter sich. Zum zweiten sei an die Herkunft der Autoren verwiesen, die einem analytischen und urban-globalen Denken über Architektur entstammen. Nanne de Ru leitete von 2002 bis 04 die Forschungsabteilung von Rem Koolhas´ Office for metropolitan architecture (OMA) und der populäre und radikale Duktus von architekturtheoretischen Klassikern wie der Publikation „SMLXL“ von 1995 ist auch in der Ausstellung deutlich spürbar. Koolhas´ hatte damals eine visuelle Tradition begründet, die bilderlastig und analytisch plakativ den Architekten als Urbanist, als strategischen Berater politischer Akteure sehen wollte. Hans Ibelings ist Architekturkritiker und Historiker, leitete das Niederländische Architektur Institut und ist heute Herausgeber von The Architecture Observer.

Niederschmetternde Diagnosen
Wir –die westliche und europäische Architektur – erfahren über den Verlust der wirtschaftlichen und demographischen Hegemonie zu den Schwellenländern China, Indien, Brasilien, Russland und Südafrika. Wir erfahren über den Umbruch eines Berufsbildes, den Untergang des „Zivilingenieurs“, jenes Generalisten der Moderne, der als Wissender um Technik und Mensch Städte, Häuser und Kuchengabeln entworfen hat, um die europäische Kultur durch geistvollen Fortschritt zu retten. Digitalisierung, der Wandel von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft, die fundamentalen Veränderungen in Kultur und Alltag durch die Globalisierungen, all das beschreiben sie schlüssig als Folge einer postmodernen und posthistorischen Ära. Ein „Anything goes“, eine Gleichzeitigkeit und ein wirtschaftlicher und geistiger Neoliberalismus, welche die europäische Vorstellung von Geschichtlichkeit und einer wertorientierten Entwicklung schmerzhaft auflöst und für beendet erklärt. Ebenso diagnostizieren sie einen Stillstand der Architektur: „Trotz vieler Unterschiede im Detail ist die Architektur von 2010 nicht substantiell verschieden von der von 1990. Diesselben Namen und alles dreht sich weiterhin um Star-Architekten, Ikonen und Bilbao-Effekte.“

Architektur als Söldner. Mitgefangen in Hype und Krise
Sie beschreiben eindrücklich die Folgen des Maßstabssprungs, der Mega-Projekte, der Hoffnungen neuer Märkte. Abhängigkeiten, in die sich Architekten bereitwillig begeben haben in der Sucht oder Hoffnung auf Ruhm und Ehre. Die eigene Marginalisierung war absehbar. Ebenso die Folgen des Iconic Turns, einer rasenden Dominanz der Bilder, die nicht nur den weitgehenden Verlust einer gesellschaftlich relevanten Architekturdiskussion gebracht hat, sondern die Zuständigkeit der Architekten gewissermaßen auf Oberflächen und Formen reduziert hat.
Ergänzt werden diese Diagnosen durch Details weltwirtschaftlicher Analysen, die Architektur in den globalen Fluss von Kapital und Dividenden einbinden. Gerade Als eigentlich größte Herausforderung wird die ökologische Krise unseres Planeten ins Rennen geführt und gemahnt der substantiellen Grenzen und der Verantwortung für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Niederschmetternd die Zusammenfassung: Je weniger gebaut wird, desto besser für die Umwelt.

Analyse und Provokation.
Was die Ausstellung sicher auszeichnet, ist ihr Potential zur Provokation. Sie richtet sich an ein architekturaffines, urbanes Publikum, das sich wirtschaftlich und in seinen Hoffnungen an Aufschwung, an Wachstum, an globale Märkte und eine internationale Architektur bindet. Die Baukultur Vorarlbergs kann und muss sich ebenfalls diesen Behauptungen und Darstellungen stellen, denn die Frage ob und welche Differenzen zu einem regionalen Konzept von Architektur gegeben sind, provozieren die Reflektion über den eigenen Standpunkt. Geistig und wirtschaftlich. Man kann gespannt sein auf die Diskussionen in den begleitenden Veranstaltungen. Gibt es noch ein Vorarlberger Modell, wie abhängig ist auch unsere Baukultur von den beschriebenen Phänomenen geworden? Wohlstand und Wirtschaft sind ohne Zweifel in hohem Maße von einer funktionierenden Weltwirtschaft abhängig. Welche Szenarien ergeben sich daraus? Weit interessanter ist noch die Frage nach den inhaltlichen Differenzen und zum Selbstbild der Architekten im Vergleich zur beschriebenen internationalen Dienstleistungsarchitektur. Gerade in Vorarlberg war und ist man stolz auf die Regionalität der Wertschöpfung und die pragmatische Einbindung in alle Entscheidungsprozesse der Bauherrschaft.

Nullpunkt oder andere Wege?
Die Ausstellung ist zugleich Veranschaulichung über die Kurzlebigkeit von Prognosen, denn so hat sich der prognostizierte Aufstieg der BRIC Staaten nach den jüngsten Krisenerscheinungen in China bereits wieder in neue potentielle Superblasen verwandelt. Die Autoren schlagen einen gedanklichen Nullpunkt vor, „eine Welt ohne Architektur, ohne vorgefasste Konzepte“, in der es möglich wäre, „ein völlig neues Berufsbild zu entwickeln, kein dünner Aufguss einer Architektur, wie wir sie heute kennen, sondern in dem die frustrierten Generalisten von Gestern ein neues Bewußtsein entwickeln und sich selbst neu erfinden können“. Ich denke, zu dieser Strategie ließen sich gerade in Vorarlberg, auch radikale Alternativen finden, die auf die Erfahrungen des eigenen Architekturlabors zurückgreifen.

Robert Fabach, Bregenz, 21.8.2015

Links:
www.powerhouse-company.com
www.architectureobserver.eu