Text zum Werkraum-Gebäude
KULTUR Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft 18.11.2003
Betrachtungen zu handwerklicher Unmittelbarkeit und künstlerischer Originalität am Beispiel des temporären „Werkraum“-Gebäudes in Andelsbuch.
In Andelsbuch ist kürzlich eines der besten und interessantesten Gebäude der neueren Vorarlberger Architektur entstanden. Ohne Architekt, fast ohne Budget, in insgesamt fünf Tagen. Elementar, sachlich, dennoch mit Witz. Ein Stück Improvisation mit vielen Beteiligten, das in seiner Entstehung und in seinem Gebrauch schlichtweg mitreißend ist und zum Zeitpunkt der Drucks dieser Zeitschrift vermutlich schon nicht mehr existieren wird.
1 Was ohne viele Worte entstand und einfach gut war. Entstehung und Gebrauch.
Die alle drei Jahre stattfindende Ausstellung zum Wettbewerb „Handwerk & Form“ benötigt für die Bewirtung seiner Besucher einen größeren Raum. Die zuletzt genutzten Räumlichkeiten des ehemaligen Andelsbucher Bahnhofs sind zu eng und ein Bierzelt ist der Ausstellung einfach nicht würdig. Es braucht eine Alternative.
In der Arbeitsgruppe des Werkraum Bregenzerwald werden einige Ideen ausgetauscht und als der Ausstellungstermin näher rückt, ergreifen Zimmermeister Michael Kaufmann und Baumeister Werner Schedler die Initiative und ziehen eines Tags frühmorgens mit Werkzeug und Gehilfen los.
Drei Sattelzüge auf dem Weg zum Holzbauwerk Kaufmann, voll beladen mit Holzbrettern machen in Andelsbuch Halt und zwei Mann hieven leihweise 63 Stapel fein säuberlich auf die tags zuvor ausnivelierten Fundamentschwellen. Eine außen angebrachte Folie hält das Gebäude dicht und die rund 100 Tonnen Fichtenholz schaffen ein behagliches Raumklima. Die Staplergabel bestimmt die Höhe der Fugen zwischen den 1,2m hohen Paketen. Der verwitterte Schuppen des angrenzenden Bahnhofgebäudes wird mit eingebaut und dient als Küche und Lager.
Am Abend steht der neue „Werkraum“ . Wände aus 1,2m tiefen Holzstapeln, ein flach geneigtes Bret-terdach und eine Dachfolie bilden ein archaisches, fensterloses Gebäude von 12 × 24 m Länge. Seine eingerückte Stirnseite bietet Platz für eine Sitzbank und die Kasse, sie erinnert an den „Schopf“ der traditionellen Bregenzerwälder Häuser.
Die anderen Mitglieder des Werkraum Bregenzerwald wollen dem nicht nachstehen und so finden sich am Wochenende drauf rund 20 Handwerksmeister ein, um persönlich Hand anzulegen. Eigentlich konkurrenzierende Unternehmer, packen sie zu diesem Zweck gemeinsam an und legen so der Initiative des Werkraum ein gemeinschaftliches Erlebnis zugrunde. An zwei Tagen werden ohne große Planungen ein Boden eingezogen, ein Tresen um den Schuppen gebaut und Tisch, Bank und Bühne nach allen Regeln der Kunst gezimmert. Das System der offenen Bretterstapel wird genutzt, um Bänke und Tische daran aufzulegen. Schließlich steckt noch eine gestaltende Hand eine Reihe kurzer Bretter ein, um darauf dicke Kerzen in Einmachgläsern als stimmungsvolle Wandbeleuchtung zu stellen.
Für Freitag ist die Eröffnung angesetzt, und es ist bereits Dienstag, als ein offener Kamin von ehr-furchtgebietenden Ausmaßen entsteht. Irgendwer schneidet schwere Stahlplatten zurecht, ein Schweißgerät ist rasch zur Hand und Mittwoch abends zieht bereits der Rauch des ersten Feuers durch den Kamin, der erst kurz zuvor durchs Dach geführt worden ist. Das offenen Kaminfeuer gibt der schlichten Schönheit schließlich eine kraftvolle Mitte. Ein nachfolgender Kälteeinbruch hatte Bedenken geschürt und so taucht noch am späten Abend vor der Eröffnung ein Unentwegter auf mit einem Heizaggregat und einem Stallgebläse und installiert damit eine Luftheizung im Fußboden, veritable Hypokausten wie im alten Rom. Noch um Mitternacht springen die Männer hinaus in den strömenden Regen und dichten den Boden zur Seite sorgfältig ab. Der anschließende Eignungstest der doppelt erwärmten Festhalle endet schließlich erst im Morgengrauen. Das Resultat ist so überzeugend, dass schließlich auch die Eröffnungsfeierlichkeiten in den „Werkraum“ verlegt werden und das Gebäude zum heimlichen Favoriten der Ausstellung Handwerk & Form wird.
Der Wunsch nach einem Fortbestand war vielfach zu hören und der Hinweis auf die nur befristete Ge-nehmigung schien nicht recht stichhaltig. Nach heftiger Nachfrage ergab sich, dass die Handwerker selbst „ihr“ Gebäude nur für den einmaligen Anlass der Ausstellung sehen wollten. Keine anderen Veranstaltungen, keine Sonderwünsche anderer Nutzer, keine Reparaturen. Der Werkraum ist der Werkraum. Anschließend wird er wieder vollständig in den Kreislauf der Baumaterialien entlassen aus dem er entstanden ist. Die Holzstapel werden wieder aufgeladen und fahren weiter zur Plattenproduktion. Tisch und Boden kommen wieder auf den Holzlagerplatz. Die Dachkonstruktion ist schon verkauft und die Folie findet auch ein neues Dach.
2 Wie mancher ins Grübeln kam
Nun kann der Mensch sich aber partout nicht mit dem Feuer, dem Holz und einem Dach begnügen. Er beginnt zu grübeln und zu fragen.
Im beiläufigen Gespräch mit weltgewandten Zeitgenossen taucht sie unvermeidlich auf: Die Zumthor-Frage. „Das ist doch wie beim Schweizer Pavillon in Hannover ?“ – „Ach ja . . „
Gestalterisch avanciertere Besucher beschleichen angesichts des alten Schuppens andere Zweifel, wie jenen Kameramann des ORF, der in der Drehpause einer Reportage meinte: „Das Gebäude find ich wirklich wunderbar, aber wieso habt ihr diese kitschige Almhüttenkulisse reingebaut?“
Beide Fragen, die mal auf empörtes Unverständnis, mal auf mitwissendes Kopfwiegen stoßen zeigen die Verschiedenheit und den Umfang unserer Lebenswirklichkeiten. Zugleich zeigt sie, dass wir unvermittelt oft nur Gäste sind, Reisende in Realitäten, die sich manchmal unvermutet überschneiden, oder die wir bewusst aufsuchen. Denn die obigen Fragen stammen aus einer anderen Welt.
Die erste Frage entspringt eigentlich dem Reich der Erfindungen, der Mode und des Kunstmarkts, die neben dem vermeintlichen Original nur Kopien kennen. Michael Kaufmann hatte auf der Bezauer Handwerksausstellung 2002 seinen Messestand ebenfalls mit einfachen Bretterstapeln errichtet und folgte damit den Vertretern seiner Zunft, die schon vor 30, 40 Jahren auf genau die selbe Weise, provisorische Abbundhallen für ihre Holzkonstruktionen errichteten.
Der Schweizer Pavillon, vom eiligen Betrachter auf seine Holzstapel verkürzt, verwendet diese nur als Motiv in einem sorgsam inszenierten Kunstwerk aus Architektur, Klang, Text und Performance. Die Stapel waren extra zugeschnitten und mit speziell gefertigten Spannvorrichtungen 8m hoch aufge-schichtet. Sinnliche Zeichen in einem Kunstsystem.
Der „Werkraum“ ist jedenfalls ein Zweckbau, der in einer handwerklichen Tradition steht und diese ohne geistige Urheberschaft umsetzt. Ihr Wissen fungiert als kollektive Basis, die weitergegeben und vermehrt wird. Ein System mit dem auch etliche der Vorarlberger Baukünstler in ihren typologischen Entwicklungen gegen die Vorwürfe aus der akademischeren Architektur argumentierten.
Aber sowohl das Bauen, als auch die Kunst lassen sich in der Wahl dieser Systeme nicht fixieren. Sie können ihre Strukturen ändern, jedoch nicht beliebig. Selbstdarstellung und Produkt müssen zueinander passen, um glaubwürdig und wirksam zu sein.
Diese offene Basis des Handwerks findet neuerdings eine Analogie in der aktuellen Auseinanderset-zung um die freie Verfügbarkeit von Computersoftware. Was dem einen unter dem Schlagwort „Open Source“ die offene Weiterentwicklung einer Technik bedeutet, ist dem anderen geistiges Eigentum, das es mit allen technischen und juridischen Mitteln zu schützen gilt.
Die zweite Frage kreist um ein Thema, das für jede Form von Tradition eine große Herausforderung darstellt. Die Tyrannei der Bilder.
In einer kommerziellen Bilderwelt, die vom Zwang nach Neuen beschleunigt wird, verkürzen sich viele Objekte beim häufigen Gebrauch auf blinde Zeichen. Der alte Schuppen ist mit den Jahren unsichtbar geworden. Seine Inszenierung im Inneren des „Werkraums“ steigert seine Patina und lenkt den Blick auf ihn. Doch für manche verschwindet er schon wieder unter dem Klischee einer romantischen Bühnenkulisse.
3 Kulturelle Allianzen
Der Werkraum ist gewiss nicht das Resultat unberührter Handwerkskunst. Die gestalterische Sicherheit und die durchgängige Formensprache im Detail zeigen eine hohe Vertrautheit mit den Essenzen der zeitgenössischen Architektur. Die wie aus der Wand geschobenen Tische und Bänke, ihre klare Geometrie, die als raumhohe Öffnungen gedachten Ausgänge sind Beispiele dafür. Immerhin sind alle an der Errichtung Beteiligten in ihrem Berufsalltag in direktem Kontakt mit Industriedesignern und Architekten. Auch das Büro von Peter Zumthor zählt mehrfach dazu. Sie sind etwa gleichaltrige Nachfolger eines Generationswechsels und waren in einer ähnlichen Situation wie die Vorarlberger Baukünstler. Mit dem Wunsch nach Neuem und doch verbunden mit dem Ort entstanden kulturelle Allianzen. Teils aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, teils – v.a. von Seiten der Planer – aus einer Sehnsucht und dem Wunsch nach einem neuen Ganzen.
Diese Sehnsucht der Gestalter nach dem Einfachen und Schlichten hat aber auch den Ausführenden das Selbstbewußtsein für die Schönheit und Qualität des Naheliegenden und Unmittelbaren zurück gegeben. Diese wechselweise Integration einer Gestaltungskultur, diese Allianzen sind nicht neu, werden aber erst dort nachhaltig wirksam, wo die Balance aus Veränderung und Verwurzelung beiden Seiten die Möglichkeit zu einer Entwicklung gibt.
Diese kulturellen und geistigen Allianzen können auch als Auslöser in der Vorarlberger Architekturentwicklung angenommen werden. Die Ideenwelt eines modernen Funktionalismus hat durch das Konzept einer regional verwurzelten Volkskultur Anknüpfungspunkte gefunden. Der Nachdruck mit dem Roland Rainer und andere Bezugspersonen auf die Qualität des anonymen Bauen in vielen Kulturen hingewiesen haben, hat auf diesem Weg Spuren hinterlassen.
Der Gleichklang von Ideen und regionalen Spezifika hat dieser Allianz dann den entsprechenden Halt und weitere Nahrung gegeben.
Diese Ideen sind im vollen Wortsinn auf „fruchtbaren Boden“ gefallen und im Werkraum an für manche unerwarteter Stelle aufgegangen.
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Robert Fabach, 23. Okt. 2003
In: Kultur Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft Jg. 18, Nov. 2003, Nr. 9, S. 8 – 10