Innere Kongruenzen

publ. Kunst und Kirche 3/12, Springer Verlag, Wien 2012

Islamischer Friedhof in Altach
Architektur: Bernardo Bader
Kunst am Bau, Gestaltung Gebetsraums: Azra Aksamija

Der Bau des islamischen Friedhofs in Altach, Vorarlberg hat einen bemerkenswerten Dialog begonnen, in dem die zeitgenössische Architektur mit großer Wertschätzung und zugleich formaler Eigenständigkeit das Gespräch mit einer anderen Kultur aufnimmt, die ebenso wie sie auf selbstbewusster Distanz zu einer theoretisch traditionellen, einheimischen Volkskultur steht.

Ein modernes Bauwerk mit historischen Hintergründen und ein Entstehungsprozess

Ab 1878 stand das okkupierte Bosnien-Herzegowina mit rund 600.000 ansässigen Muslimen drei Jahrzehnte faktisch unter österreichisch-ungarischer Herrschaft, ehe es 1908 annektiert und somit für die nächsten zehn Jahre auch formal ein Teil der Habsburgermonarchie wurde. 1912 wurde in Folge das „Islamgesetz“ erlassen, welches den Islam nach hanafitischen Ritus als Religionsgesellschaft anerkannte und den Einrichtungen und Gebräuchen des Islam denselben Schutz wie den anderen, anerkannten Religionsgemeinschaften zusicherte.
Hundert Jahre später leben in Vorarlberg rund 40.000 Muslime und Muslimas oder rund 11% der Wohnbevölkerung verteilt auf fast alle der 96 Gemeinden. (Die jüngste Registerzählung von 2011 erfasst die Religionszugehörigkeit aus rechtlichen Gründen nicht mehr. Die Volkszählung 2001 nennt knapp 30.000 Muslime). Die Hälfte davon besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft und die meisten davon haben türkischen, zu einem geringeren Teil bosnischen Migrationshintergrund.
Die Annahme der 1960er Jahre, dass Arbeitskräfte aus anderen Ländern mehrheitlich wieder zurückkehren würden, hat sich längst als unrichtig erwiesen. Mittlerweile leben hier viele der Migranten und deren Nachkommen in dritter und vierter Generation als fester Bestandteil der österreichischen Bevölkerung. Das Verständnis von Heimat haben Vorarlberger Muslime zuletzt in der Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass Heimat dort sei, wo man begraben sein kann.
Die Bindung der Muslime an die Praxis ihrer Religion ist durchschnittlich hoch, doch die Ausübung religiöser Riten und Gebräuche kaum durchgehend möglich. Gerade bei der Bestattung gibt es verschiedene religiöse Vorschriften, wie die Ausrichtung der Verstorbenen mit dem Gesicht nach Mekkah oder die Vorgabe nicht unter Andersgläubigen bestattet zu sein, die bei einer Bestattung auf kommunalen Friedhöfen nicht eingehalten werden konnten und einen Großteil der Muslime zu bürokratisch und finanziell aufwendigen Überführungen in ihre Ursprungsländer zwang.

2004 schlossen sich islamische Gemeinschaften und Vereine von Migranten in Vorarlberg in der Frage der Errichtung einer Begräbnismöglichkeit für Muslime zusammen und gründeten die „Initiativgruppe Islamischer Friedhof“. Die Projektstelle des Landes für Zuwanderung und Integration „okay.zusammen leben“ unter der Leitung der Historikerin und Judaistin Dr. Eva Grabherr rief in Folge einen rund 7 Jahre dauernden und umsichtig geführten Prozess ins Leben. Sie gibt bei der Islambeauftragten der Vorarlberger Katholischen Kirche, die Studie „Begräbnisstätte für Muslime in Vorarlberg“ in Auftrag. Im selben Jahr stellten die islamische Religionsgemeinde, Bregenz, die Islamische Glaubensgemeinschaft in und die „Initiativgruppe Islamischer Friedhof“ den Antrag auf Errichtung eines Friedhofs an die Vorarlberger Lan-desregierung. Friedhöfe sind eine kommunale Angelegenheit und die Gemeinden eigentlich verpflichtet Bestattungsmöglichkeiten zu bieten. Der Vorarlberger Gemeindeverband übernimmt die Initiative. 2006 bringt die Gemeinde Altach im Vorarlberger Rheintal die Option auf das Grundstück Schotterried an der Landesstraße L190 ein und beschließt in der Gemeindevertretung einstimmig den Verkauf an den Gemeindeverband zur Errichtung eines islamischen Friedhofs. Ein geladener Architekturwettbewerb wird ausgeschrieben und das Architekturbüro Bernardo Bader aus Dornbirn wird 2007 mit der Planung betraut. Bis 2010 laufen Planungen und vorbereitende Arbeiten am Grundstück. Die sehr weichen Böden des Rieds müssen üblicherweise über längere Zeit mit rund 2m hohen Kiesschichten vorbelastet werden, um spätere Setzungen von Gebäuden und Anlagen zu minimieren. Es wurde in mehrfacher Hinsicht „der Boden bereitet“.
2010 übernimmt die Gemeinde Altach übernimmt die behördliche Trägerschaft für den Friedhof, auf dem muslimische Bürger/innen aus allen Kommunen des Landes und aller islamischen Glaubensrichtungen bestattet werden können. 2011 wird mit dem Bau begonnen und der Friedhof am 2. Juni 2012 feierlich und unter Beisein des Landeshauptmanns und Vertreter der österreichischen Bundesregierung eröffnet.

Das Bemerkenswerte an dieser Historie ist, dass der öffentliche Skandal gänzlich ausgeblieben ist. Eine gesellschaftlich ambitionierte und inhaltlich versierte Gruppe von Fachleuten konnte mit großer Umsicht und der Bereitschaft zu einer breiten Partizipation aller Beteiligten einen Prozess mit Erfolg umsetzen Sie hat es geschafft, die menschlichen Energien der kommunalen Ebene und deren Bereitschaft zu Konsens und Integration zu aktivieren und dabei dem parteipolitischen Kalkül und dem nicht unbeachtlichen fremdenfeindlichen Potential des regionalen Medienmonopols vollständig zu entgehen. Zur Verdeutlichung: Gleichzeitig wurde auf oberster Landesebene politisches Kleingeld mit Minaretten, Deutschunterricht und Beschneidungen gemacht. Gleichzeitig befindet sich auch das Büro des deutschen Stararchitekten Gottfried Böhm wegen des Baus der Kölner Moschee seit Jahren im juristischen Nahkampf mit seinem Bauherrn.

Das Bauwerk

Auf einem Gesamtgrundstück von 8.400 m2 liegen der Friedhof und die dazugehörigen Räumlichkeiten in einer offenen Riedlandschaft. Nicht unweit im Hintergrund ragt der Felsstock der beginnenden Gebirgslandschaft des Bregenzerwaldes empor. In geraumer Entfernung: Verstreute Industriehallen, die Rheintalautobahn und einzelne Wohnsiedlungen. Unaufgeregt, wie sich die fünf Finger der einzelnen Gräberfelder und ein flacher kompakter Baukörper entlang der Landesstrasse aneinander reihen und mit den Wiesenflächen verzahnen. Nach außen sichtbar bleibt eine flache Mauer aus rot gefärbtem Sichtbeton, die in ihrem Versatz die einzelnen Felder abbildet. Hoch genug, um den direkten Einblick zu verstellen, dennoch so nieder, dass man den Eindruck einer provozierenden Segregation vermeidet. Am Eingang erhöht sich die Mauer zu einem langgestreckten Baukörper, der ohne weitere Vertikalen sich nur durch ein großformatiges Holzgitter und eine nischenartige Eingangsöffnung absetzt. Erst dort gibt sich der Nutzen des Gebäudes durch ein schmales, grafisch sorgsam realisiertes Schriftband zu erkennen: Islamischer Friedhof Altach. In lateinischer und arabischer Schrift. Zur Seite führt ein Tor entlang des großen Holzgitters in einen überdachten Bereich. Keine Zeichen, nur die Struktur einer plastisch versetzten Bretterschalung der erdig rot gefärbten Betondecken und Wände und kreisrunde, glatte Vertiefungen an der Decke mit schlichten Leuchtkörpern geben dem Raum eine dunkle ernste Würde. Ein einfacher Betonstein, groß genug, um den Leichnam aufbahren und sich in einer kleinen Zeremonie verabschieden zu können, steht in einiger Distanz. Offen geht der Blick hinaus auf ein hofartiges Gartenstück und auf den Zugang zu den Gräbern.
Anordnung und Zugang zum Raum für die rituelle Waschung und zum Gebetsraum folgen der beiläufigen Ruhe und Diskretion mit der die Architektur der Moderne geschlossene und offene Räume aufspannt, zueinander ordnet und in Beziehung setzt. Ein langes Wandbecken aus Edelstahl an der Wand zu den Nebenräumen ist die lapidare Lösung für die rituelle Waschung der Gläubigen vor dem Gebet.
Die Mauer und die weitgespannte Deckenkonstruktion, sowie zwei geschlossene Raumblöcke für Waschung/Nebenräume und das Gebet formen die Komposition von Licht und Schatten, Textur und massiver Schwere, die fast wortlos den Blick auf Gräberfelder und Landschaft rahmen. Dimension und der schlichte Ernst der Geometrie verleiht dem Ort die Würde.
Der Friedhof ist in fünf überschaubare Gräberfelder unterteilt. So ausgerichtet, dass alle Leichname auf der rechten Seite liegend den Blick nach Mekkah gerichtet haben. Diese Kiesflächen werden nach einem sorgsam erstellten Plan mit bis zu 700 Gräbern so belegt, daß die Gesamtfläche gleichmäßig dichter besetzt wird. Jedem Gräberfeld ist eine kleine Sitzgelegenheit und ein Baumpflanzung vorgelagert. Die anfangs noch leeren Kiesflächen sind mit begrünten Gartenfeldern aufgelockert, die bei zunehmender Belegung wieder aufgelassen werden können. Einfache Flachstahlbänder umfassen die schlichten Gräber, die wie im Islam üblich nicht individuell geschmückt werden, sondern die Einheit und Verbundenheit in der Gemeinschaft der Verstorbenen sucht. Grabbesuche sind seltener und haben die gemeinsame Andacht und nicht den Schmuck des individuellen Grabes zum Ziel. Der Friedhof zeigt sich als Symbol, als abstrakt zeichenhaftes Inbild des paradiesischen Gartens.

Wege des Islam und deren Verarbeitung in der Kunst

Das Holzgitter zum Vorplatz spendet je nach Sonnenstand ein Schattenspiel und zeugt von der kulturellen Wurzel der Gestaltung. Die geometrische Verschränkung von Doppellinien in drei Richtungen ergeben eine Ornamentik mit achtstrahligen Sternen, Dreiecken und Rauten. Aus massivem Eichenholz, unbehandelt und von Vorarlberger Zimmererleuten vorgefertigt und sorgsam versetzt, ist hier am deutlichsten die erstaunliche Verschränkung zu spüren, zwischen erdverbundener Handwerkskunst und der Geistigkeit einer vermeintlich fernen, orientalen Formensprache.

Dr. Azra Aksamija, eine aus Bosnien stammende Künstlerin und Architekturhistori-kerin, Muslima und Österreicherin, die in den USA am MIT lehrt, hat die Gestaltung dieses Gitterelements und des Gebetsraums mit der Architektur des im Bregenzerwald geborenen Architektens Bernardo Bader verwoben.
Entlang dieses Bauornaments, das auch Sichtschutz und Schattenspiel leistet, führt der Weg in den Raum, der für das Gebet und die Andacht der Angehörigen vorgesehen ist. Ein schmaler Gang bietet gerade Platz um die Schuhe abzulegen und entlang der Seite in einen schlichten querliegenden Raum zu treten, der von einem quadratischen Fenster in der Raummitte beleuchtet wird. Zwei Elemente leisten die Ordnung und die erforderliche Ausstattung des Gebetsraum und schaffen bedeutungsvolle Bezüge zur Welt und Geschichte der Muslime in Vorarlberg.
Vor der Qibla-Wand, der Wand nach Mekkah, fädelt ein Vorhang aus einem Edelstahl-Ringgeflecht einen Rhythmus von großformatigen Holzschindeln auf, die wie Kompassnadeln nach Mekkah gerichtet sind. Gezielt verdichten sich diese Schindeln zu drei arabischen Schriftzügen, die den Namen des Schöpfers und des Propheten ergeben: Allah und Mohammed. Schlichtes Tannenholz, im Mittelfeld mit blattvergoldeten Kanten versehen, schafft ein Spiel von Durchblicken, Geschlossenheit, Muster und Schrift. Gemeinsam ergibt sich aus dem Rücksprung des Mittelfelds in das raumhohe Fenster der Mihrab, die Gebetsnische, die Aksamija mit dem Blick in einen Wiesengarten und vor allem mit dem Lichteinfall verbindet. An Nuur, das Licht, einer der 99 wunderbaren Namen von Allah.
Davor breiten sich sechs querlaufende Bahnen von Teppichen – Kilims – aus. Hand-gewebt aus reiner Schafwolle von bosnischen Frauen des „Schutzverein des bosnischen Teppichs“ aus Sarajevo, der sich dem Erhalt dieses mobilen kulturellen Erbes verschrieben hat und dabei Kriegsopfer unterstützt. Immer heller werdend zum Fenster hin und mit einfachen Strichen versehen, um die einzelnen Gebetsplätze auf dem Teppich zu unterteilen.

Exkurs zu Materialität und Zeichen in der islamischen religiösen Praxis

Die Einrichtung eines Friedhofs bildet in der islamischen religiösen Praxis eine ge-schützte Aufbewahrungsstätte in der gemäß den heiligen Schriften die Verstorbenen in der Gemeinschaft von Muslimen die vollständige Wiedererweckung am jüngsten Tag erwarten. Anders als in der christlich katholischen geformten Glaubenspraxis gib es keinen ausgeprägten Totenkult. Dies würde den Prinzipien des islamischen Glaubens widersprechen, der jede Form der Verehrung von lebenden oder verstorbenen Personen, aber auch von Objekten, Kult- und Erinnerungsgegenständen ablehnt. Die alleinige Verehrung und Anbetung von Allah ist ein absoluter Glaubensgrundsatz und Bestandteil des Glaubensbekenntnisses jedes Muslims. Davon ist auch jeder Anschein der Anbetung oder Verehrung umfasst. – So ist es beispielsweise nicht gestattet beim Gebet vor einem Betenden den Raum zu queren. – Dieser Glaubensgrundsatz entspricht auch dem Darstellungsverbot von Allah und aller prophetischen Persönlichkeiten. Wir finden also eine Entmaterialisierung in jeder Form der Verehrung. Verschiedene Verehrungstraditionen von Grabstätten religiöser Persönlichkeiten die es im Lauf der Geschichte gegeben hat und auch heute noch gibt, entspringen dem Volksglauben und werden offiziell immer wieder kritisiert.
Ablesbar wird dies auch an der Ausstattung von religiösen Versammlungsstätten.
Die Qibla Wand, bzw. der Mihrab – die Nische, welche die Qibla, die Gebetsrichtung anzeigt sind keine Objekte der Anbetung, sondern lediglich Symbole und funktionale Indikatoren der vorgeschriebenen Ausrichtung beim Gebet in einem durchaus wissenschaftlichen Sinn. Das Gebet und die Versammlungsräume der Muslime sind nicht einfach nach Osten gerichtet, sondern auf die strenge geografische Richtung der Kaaba in Mekkah bezogen. Das Gebet kennt deshalb keinen zentralen oder per se bevorzugten Ort im Raum und wird auch nicht konzentrisch, sondern in parallelen Reihen verrichtet.

In diesem Sinn wurde auch schon von Beginn an den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Geometrie und Astronomie ein hoher Stellenwert im Wertesystem des islamischen Kultur eingeräumt. Sehr früh wurden auch systematisch die schriftlichen Quellen der hellenistischen Wissenschaft übersetzt und somit die arabische Geisteswelt zum Bewahrer und Vermittler von „europäischen“ Fundamenten. Darauf beruht auch die für eine christliche Glaubenspraxis unerwartete Bedeutung von wissenschaftlicher Präzision mit der die Gebetszeiten nach dem Sonnenstand für jeden Tag und jeden Ort errechnet werden und mit der auch die geometrische Einmessung und Ausrichtung des Friedhofs von einem Imam begleitet wurde.

Kongruenzen in Ästhetik und Gestaltungsprinzipien der zeitgenössischen Vorarlberger Baukultur mit islamischen Traditionen

Die zeitgenössische Gestaltung mag für viele in Vorarlberg lebende Muslime, die aus eher traditionellen Lebensumwelten kommen ungewohnt sein. Die innere Übereinstimmung dieser Ästhetik mit den Vorschriften und geistigen Prinzipien des Islam, die aufmerksame Gestaltung und Konzeption geben Vertrauen in eine dauerhafte Akzeptanz. Die Kongruenz mancher gestalterischer Vorstellungen ist frappierend. So findet die Distanz zum Bildhaften und der Einsatz der Textur natürlicher Oberflächen in der Vorarlberger Architektur eine deutliche Entsprechung zur seriell abstrakten Ornamentik, wie sie im islamischen Raum zu finden ist. Auch entspricht die Nüchternheit und die Demut der islamischen Bestattungszeremonien der Schlichtheit, mit der die Räume und Freiflächen angelegt und detailliert wurden. Die zeitgenössische Gestaltung ist sicherlich auch ein Weg, um die Akzeptanz bei vielen Vorarlbergern mit einer gewissen Reserve zum Islam zu steigern. Die zeitgenössische Strenge trägt zuletzt auch einen gewissen Imperativ in sich, der eine subtile Verbindung zu in Vorarlberg positiv besetzten Werten wie Ordnungsliebe, Klarheit und Genügsamkeit schafft. Nicht dass man mit Gemeinplätzen einen öffentlichen Dialog führen könnte, aber für eine emotionale Annäherung sind derartige Sympathien von großem Wert.

Robert Fabach, Bregenz, 24.8.2012

Aufbahrungshalle

Gebetsraum

Schattenwurf der Holzgitterwand

Muster Teppich und gekalkte Holzschindeln